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15. Dezember 2021

Hör mal, wer da spricht – Ein Blick in die Köpfe und Ohren Österreichs

 

Was ist der schönste Dialekt in Österreich? Klingt Hochdeutsch im Westen Österreichs anders als im Osten? Mit Fragen wie diesen beschäftigen wir uns in einem Teilprojekt des Spezialforschungsbereichs „Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzpetion“ (SFB DiÖ), das sich mit Einstellungen zu und Wahrnehmungen von Sprache beschäftigt. Es interessiert uns, welche Meinungen und vielleicht auch stereotypen Haltungen Menschen in Österreich zu verschiedenen Sprachen und Sprechlagen (wie z. B. eben Hochdeutsch oder Dialekt) und deren Sprecher*innen (eine klare Trennung zwischen Einstellungen zu Sprechlagen und  Sprecher*innen ist kaum möglich) aufweisen und wie diese Einstellungen auch ihr sonstiges Denken und Handeln beeinflussen (könnten). Nun ist die Erforschung dieser Einstellungen eine recht komplexe Angelegenheit, nicht zuletzt deswegen, da Menschen mitunter dazu neigen, ihre Antworten auf sensible Fragen daran anzupassen, was als gesellschaftlich akzeptabel bzw. erwünscht wahrgenommen wird.

Eine Methode, mit der diese Problematik (zumindest teilweise) gelöst werden kann, ist der sogenannte „Hörer*innenurteilstest“ (mit der schönen Abkürzung HUT). Worum es sich dabei handelt, wie man HUTs durchführt und was man mit ihnen herausfinden kann, sehen wir uns im Folgenden genauer an.

Was ist eigentlich ein HUT?

HUTs gibt es in verschiedenen Ausführungen, die Grundidee ist aber stets dieselbe: Hörer*innen wird eine Reihe von Hörbeispielen vorgespielt, welche sich mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden, weil etwa verschiedene Personen zu hören sind, verschiedene Sprechlagen gesprochen werden oder verschiedene Textausschnitte vorgelesen werden, um nur einige Beispiele zu nennen. Die am HUT teilnehmenden Hörer*innen müssen dann das Gehörte kommentieren und bewerten – wobei die Art und Weise der konkreten Aufgabenstellungen an die Hörenden oft sehr unterschiedlich ist und vom jeweiligen Forschungsinteresse abhängt.

HUTs zeichnen sich dadurch aus, dass die Bewertung bestimmter Sprechlagen nicht explizit erfragt wird (etwa „Wie gefällt Ihnen Wienerisch?“), sondern implizite Meinungsbilder nur auf Basis des Gehörten (ohne weitere Angaben, was denn da genau zu hören ist) erhoben werden (z.B. etwa „Wie sympathisch finden Sie die gehörte Sprechlage/Person?“). Da mit Fragebögen (insbesondere digital) sehr viele Personen erreicht werden können, lassen sich so für einen breiten Ausschnitt der Bevölkerung Daten erheben. Sie sind daher für die Einstellungsforschung von besonderer Bedeutung.

Zwei zentrale Vorgehensweisen wollen wir kurz vorstellen:

  Im „originalen“ Design eines HUTs ist ein*e und der*dieselbe Sprecher*in mehreren Hörproben in unterschiedlichen Sprechlagen zu hören, z. B. Wiener Hochdeutsch und Wiener Dialekt (mit einigen ablenkenden Hörbeispielen dazwischen). Teilnehmende, die (vielleicht) nicht wissen oder merken, dass sie eigentlich den*dieselbe*n Sprecher*in hören, bewerten dann die Hörproben nach Sympathie, Verständlichkeit oder verschiedensten weiteren Kategorien. Diese Methode hat den Vorteil, dass die Bewertungen der beiden im Fokus stehenden Sprechlagen nicht von individuellen Eigenheiten wie der Stimmfarbe der zu hörenden Person beeinflusst wird, da diese (in beiden Sprechlagen) ja (optimalerweise) gleichbleibt.

  Häufig werden in der Praxis jedoch mehr als nur zwei verschiedene Sprechlagen untersucht. In diesem Fall ist es dann schwierig bis unmöglich, eine einzige Person zu finden, die alle Hörproben auf einem akzeptablen und auch glaubwürdigen Niveau einsprechen kann (z. B. jemand mit Kompetenzen im Vorarlbergerischen Dialekt, aber daneben auch Steirisch oder Wienerisch). Aus diesem Grund kommt häufig für jede untersuchte Sprechlage ein*e separate*r Sprecher*in zum Einsatz. Das verringert zwar die Vergleichbarkeit der Hörbeispiele, jedoch sind die Aufnahmen selbst oft natürlicher und es ist wesentlich leichter, geeignete Sprecher*innen zu finden. Auch die HUTs in unseren SFB-Studien (s. u.) verwenden diese Methode.

Den HUT in die Welt bringen – Die Erhebungsreihe des SFB

Um ein möglichst breites Bild zu erhalten, haben wir im SFB-Projekt mit verschiedensten Versuchsanordnungen experimentiert. So griffen wir für unsere Hörproben beispielsweise auf ungeschulte Sprecher*innen (das heißt, Personen ohne Sprachtraining) sowie auch auf trainierte Nachrichtensprecher*innen aus unterschiedlichen (Bundes-)Ländern zurück. Vorgelesen wurden etwa Ausschnitte aus einer Fabel, Nachrichtentexte oder auch eine Reihe von Dialektsätzen (sogenannte „Wenkersätze“, benannt nach dem Sprachwissenschaftler Georg Wenker), die seit über 100 Jahren in der Germanistik als exemplarische Mustersätze in Erhebungen zum Einsatz kommen. Zwischen 2016 und 2021 haben wir so im Projekt fünf HUTs durchgeführt, wobei sich vier mit Standardsprache (sprich mit „Hochdeutsch“) beschäftigten und einer mit Dialekt.

Beim Verteilen der HUT-Fragebögen haben wir auch auf das sogenannte „Schneeballprinzip“ gesetzt: Man schickt die Umfrage an Verwandte und Bekannte mit Bitte um Teilnahme und insbesondere mit dem Hinweis, den Fragebogen – ähnlich wie einen Kettenbrief – an weitere Personen weiterzuleiten. Wie ein Schneeball, der einen Hügel hinunterrollt und stetig größer wird, soll so ein zunehmend breiteres Feld an Teilnehmenden gewonnen werden. In der Praxis zeigt sich aber oft, dass diese Kette leider sehr rasch unterbrochen wird, insbesondere bei besonders langen oder besonders komplizierten Fragebögen – und ein Hörer*innenurteilstest ist leider oft beides (Daher bringt uns jeder vollständig ausgefüllte Fragebogen sehr weiter!). Dennoch konnten wir für unsere 5 HUTs über 2200 Teilnehmer*innen (mehrheitlich, aber nicht nur aus Österreich) gewinnen. Verteilt wurde etwa per E-Mail, Facebook und WhatsApp, aber auch zahlreiche andere Kanäle wurden angezapft. Sogar den Bundespräsidenten haben wir per Kontaktformular um Teilnahme gebeten, erhielten aber leider eine freundliche Absage.

 

Was haben wir gelernt?

Nachdem wir nun dargelegt haben, was ein HUT ist, und wie wir unsere HUTs durchgeführt und verteilt haben, können wir nun auf Basis unserer Ergebnisse kurz versuchen, die eingangs genannten Fragen zu beantworten.

Hätten Sie zum Beispiel gedacht, dass Tiroler*innen den sympathischsten Dialekt in Österreich sprechen? Zumindest gemäß unseres Dialekt-HUTs nennen die meisten Befragten Tirolerisch als den beliebtesten Dialekt, dicht gefolgt von Kärnterisch und (wer hätte das gedacht) Wienerisch.

Lustigerweise nimmt der Wiener Dialekt gleichzeitig auch bei der Frage nach dem Dialekt, der am wenigsten gefällt, den ersten Platz ein. Das kommt sicher auch daher, dass Personen aus dem Osten Österreichs (und von da stammt ein großer Teil unserer Teilnehmer*innen) Wienerisch gegenüber tendenziell positiv gesinnt sind, während Personen aus dem Süden und Westen Österreichs den Wiener Dialekt recht stark ablehnen. Sympathie und Antipathie liegt also oft näher zusammen, als man denkt.

An denjenigen Hörer*innenurteilstests, die sich mit Standarddeutsch („Hochdeutsch“) bzw. seinen verschiedenen Ausformungen auseinandersetzen, hat sich gezeigt, dass wir es hier mit recht unterschiedlichen Bewertungsmustern zu tun haben, die sich beispielsweise dahingehend unterscheiden, woher die Hörenden kommen (aus welchen Regionen und Ländern), welche konkreten Texte sie vorlesen und ob die zu hörenden Personen sprachlich geschult waren oder nicht. Auch hat es einen Einfluss, wie genau gefragt wurde. So zeigte sich in Anlehnung an die eingangs gestellte Frage beispielsweise, dass es Unterschiede in den Bewertungen gibt, je nachdem, ob ein*e Sprecher*in aus dem Osten oder dem Westen Österreichs stammt. Tendenziell scheinen Sprechende aus dem Osten Österreichs etwas stärker einem (stereotypen Ideal von) „Hochdeutsch“ zu entsprechen, was bisherige Befunde der Sprachwissenschaft (z. B. Moosmüller 1991) unterstreicht.

Natürlich ist ein HUT (oder auch fünf) nicht genug, um alle Forschungsfragen definitiv zu beantworten. Darum legen wir im SFB auch viel Wert darauf, weitere Methoden wie etwa Interviews heranzuziehen, um unsere Forschungsfragen aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten.

 

Wie geht es weiter?

Die Verteilung des letzten HUTs wurde erst vor Kurzem beendet und auch wenn die Auswertung der Ergebnisse gerade erst begonnen hat, haben wir bereits einige Dinge gelernt:

1. Die ersten HUTs waren viel zu lange, das nehmen wir uns zu Herzen und geloben Besserung!

2. Die Teilnehmer*innen waren sehr daran interessiert, ob sie die Herkunft der Sprecher*innen richtig erkannt haben.

Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, die Inhalte des letzten HUTs erneut auf die Reise zu schicken, und zwar mit einem deutlich schlankeren Umfang, einem ansprechenderen, interaktiveren Design und detaillierten Ergebnissen am Ende. Hoffentlich macht das eine Teilnahme kurzweiliger und interessanter! In diesem Sinne schließen wir diesen Beitrag mit einer herzlichen Bitte mitzumachen. Denn wie wir bereits beschrieben haben: Jede*r einzelne Teilnehmer*in ist ein großer Gewinn für die Forschung!

https://regionenraten.dioe.at/


Zitation
Höll, Jan; Koppensteiner, Wolfgang; Stiglbauer, Rita (2021): Hör mal, wer da spricht – Ein Blick in die Köpfe und Ohren Österreichs.
In: DiÖ-Online.
URL: https://www.dioe.at/artikel/3109
[Zugriff: 29.03.2024]