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30. November 2021

Vom Feiern lassen müssen – aber doch nicht können: Wie Alexandra N. Lenz trotz Pandemie eine Festgabe überreicht bekam

Mitte November 2021 feierte die Universitätsprofessorin für germanistische Sprachwissenschaft am Institut für Germanistik der Universität Wien sowie Projektsprecherin und gleichzeitige Leiterin dreier Teilprojekte des SFB „Deutsch in Österreich“ Alexandra N. Lenz einen runden Geburtstag. Schon Anfang des Jahres stellten wir uns die Frage, wie wir sie wohl am besten überraschen sollten, und kamen zu dem Schluss, dass das am ehesten mit möglichst vielen einschlägigen Publikationen gelingen könnte. Wir wollten damit die wissenschaftliche Tradition fortführen, besonders renommierten Forscher*innen zu runden Geburtstagen Sammelbände mit Beiträgen von Fachkolleg*innen (sogenannte „Festschriften“) zu widmen. Da Alexandra Lenz allerdings noch zu jung für eine typische Festschrift ist, die frühestens ab dem 60. Geburtstag vorgesehen wäre, bezeichnen wir die wissenschaftliche Publikation als „Festgabe“.

Die Vorbereitungsphase

Bekanntlich braucht gut Ding Weile – entsprechend suchten wir für die wissenschaftliche Publikation bereits Anfang Februar 2021 einen Veröffentlichungsort. Dankenswerterweise bekamen wir schnell die Zusage, die Festgabe als Sonderband der Zeitschrift Wiener Linguistische Gazette vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien als online verfügbare Open-Access-Publikation veröffentlichen zu können. Danach schrieben wir an Personen an den wissenschaftlichen Institutionen1, an denen Alexandra Lenz aktuell wirkt und die sie prägt, und baten diese unter strengster Geheimhaltung um Artikel oder Begutachtungen von Artikeln für die wissenschaftliche Festgabe. Wir erhielten viele Zusagen und am Ende tatsächlich 19 wissenschaftliche Artikel auf über 650 Seiten und 38 Gutachten.

Die Festgabe

Der Band mit dem Titel „Vom Tun nicht lassen können. Historische und rezente Perspektiven auf sprachliche Variation (in Österreich und darüber hinaus). Festgabe für Alexandra N. Lenz zum runden Geburtstag“ wird von Agnes Kim, Katharina Korecky-Kröll, Ludwig Maximilian Breuer, Jan Höll und Wolfgang Koppensteiner herausgegeben und soll in den nächsten Wochen als Themenheft (Ausgabe 89 (2021)) der Wiener Linguistischen Gazette erscheinen. Er enthält ein Einleitungskapitel des Herausgabeteams und 19 Artikel, die im Bereich wesentlicher Forschungsgebiete von Alexandra Lenz („Vielfalt“, „Wahrnehmung“ und „Wandel“) angesiedelt sind:

Teil 1: Vielfalt

Den Anfang des „Vielfalt“-Teils macht Timo Ahlers mit einer Untersuchung von Korpus- und Experimentdaten zu sogenannten immobilen Verben des Deutschen (Beispiel: lobpreisen), deren Bezeichnung daher rührt, dass sie nicht ohne weiteres an der zweiten Position in einem Satz vorkommen können, an dieser also etwas komisch klingen: ?Wir lobpreisen Alex. An der letzten Position im Satz können sie aber problemlos verwendet werden: Alex wird lobgepriesen. In seinem Artikel begründet Timo Ahlers, warum diese als Verbkomposita also analog zu Nomen wie Donaudampfschiffahrtsgesellschaft analysiert werden sollten.

Sogenannte Komposita, genauer Nomen+Nomen-Komposita untersucht auch Theresa Ziegler. Sie interessiert sich aber für solche, bei denen manchmal ein Fugenelement auftritt und manchmal nicht (siehe auch die Frage des Monats dazu, warum man manchmal von Advent-s-kalendern liest) und ob es in ihrem Gebrauch in Österreich Unterschiede gibt. Dazu untersucht sie ausgewählte Komposita mit schwankenden Fugenelementen im großen österreichischen Zeitungskorpus amc (Austrian Media Corpus), das über 45 Millionen Artikel regionaler und überregionaler österreichischer Tages- und Wochenzeitungen enthält. Passend zum freudigen Anlass der Festgabe wird im Artikel die Verwendung von Geschenk-Ø-körben vs. Geschenk-s-körben und Schokolade-Ø-torten vs. Schokolade-n-torten beschrieben (die wir dem Geburtstagskind – ob nun mit oder ohne Fugenelement – auch real wünschen!).

Elisabeth Scherr analysiert, ob reduzierte definite Artikelformen (z. B. as, es, is anstelle von das) eher in Sprachlagen nahe dem Dialekt oder der Standardsprache vorkommen und warum, also in welchen sprachlichen Kontexten sie eingesetzt werden. Das tut sie anhand von formellen Interviews und informellen Freundesgesprächen aus Wien und Graz, die im Rahmen des Teilprojekts PP04 „Wien und Graz – Städte und ihre sprachlichen Strahlkräfte“ erhoben worden sind.

Philip C. Vergeiner und Lars Bülow untersuchen sogenannte „flektierte Komplementierer“ in den österreichischen Basisdialekten anhand von Daten aus dem Teilprojekt PP02 „Variation und Wandel dialektaler Varietäten in Österreich (in real und apparent time)“. Beispiele wären nebensatzeinleitende Elemente wie ob-st in dem Satz i mecht wissen, ob-st morgen kommst (‚ich möchte wissen, ob du morgen kommst‘) oder wia-s in dem Satz tuats, wia-s es moan-ts (‚tut, wie ihr meint‘).

Passend zur aktuellen Pandemiesituation setzen Johanna Fanta-Jende, Florian Tavernier, Amelie Dorn und Katharina Korecky-Kröll (Teilprojekt PP03 „Sprachrepertoires und Varietätenspektren“) die Aussprache der Plosive /p/ und /t/ in verschiedenen Dialektregionen Österreichs mit der Ausbreitung von COVID-19 in Zusammenhang und ziehen daraus – mit Augenzwinkern – das folgende populärwissenschaftliche Fazit: „Wer einen Dialekt mit vielen weichen Konsonanten spricht, minimiert das Infektionsgeschehen!“

Als Abschluss des „Vielfalt“-Teils diskutieren Markus Pluschkovits und Katharina Kranawetter aus dem Teilprojekt PP11 „Kollaborative Online-Forschungsplattform für das SFB-Projekt Deutsch in Österreich“ die Annotation von Sprachdaten im SFB „Deutsch in Österreich“.

Teil 2: Wahrnehmung

Der einleitende Beitrag des Teils zur „Wahrnehmung“ von Rita Stiglbauer und Anja Wittibschlager steht an der Schnittstelle von „Vielfalt“ und „Wahrnehmung“ und beschäftigt sich mit den sogenannten Verlaufsformen (z. B. Alex ist am Geburtstagfeiern), die anzeigen, dass Handlungen aktuell gerade stattfinden und noch nicht abgeschlossen sind. Mittels eines Onlinefragebogens konnten Einblicke gewonnen werden, welche Verlaufsausdrücke einerseits von Österreicher*innen verwendet werden und andererseits, was sie über die einzelnen Konstruktionen denken.

Barbara Soukup stellt eine Methode zur großräumigen Erhebung von Spracheinstellungen zu Artefakten aus der Linguistic Landscape (d. h. der Sprache im öffentlichen Raum wie etwa Poster, Sticker, Graffiti etc.) vor und zeigt damit, wie sie ihre beiden hauptsächlichen Forschungs- und Interessensgebiete verbinden kann. Anhand einer basierend auf dieser Methode durchgeführten Fragebogenerhebung gibt sie Einblick in die Wirkung von Dialekt und Standardsprache in der österreichischen Werbelandschaft.

Lisa Krammer, Alina Cristea und Manfred Michael Glauninger betrachten den Sprachgebrauch an der Universität aus einer sozio- und metalinguistischen Perspektive. Bei der Analyse ausgewählter offizieller Dokumente der Universität Wien erkennen die Autor*innen eine nahezu gänzlich ausbleibende Beschäftigung mit sprachlicher Variation innerhalb der deutschen Sprache sowie in Bezug auf andere Einzelsprachen einen klaren Fokus auf das Englische, was mit sprachideologischen Positionen zu Sprache in der universitären Bildung in Verbindung gebracht wird.

Der Frage, welche Meinungen und Stereotype Wiener*innen und Grazer*innen zu ihrem eigenen Sprachgebrauch sowie auch zur Sprache der jeweils anderen Stadt aufweisen, widmet sich Ann Kathrin Fischer, wofür sie auf leitfadengestützte Interviews zurückgreift. Während beide Gruppen für das Wienerische eine Vielzahl verschiedener Auffälligkeiten ausmachen, fällt Grazerisch vorranging durch seinen als „Bellen“ umschriebenen, markanten Klang auf. Wiener*innen hingegen „raunzen“ sowohl in der Eigen- als auch Fremdwahrnehmung eher.

In einer perzeptionslinguistischen Pilotstudie analysieren Wolfgang Koppensteiner und Jan Höll die Austriazismus-Debatte (z. B. Blumenkohl vs. Karfiol) innerhalb von User*innen-Kommentaren im Onlinenachrichtenportal derStandard.at mit Fokus auf die thematische Struktur des Diskurses sowie laienlinguistische Konzepte von und Assoziationen zu Austriazismen. Unter anderem wurde festgestellt, dass User*innen kaum Austriazismen mit gesamtösterreichischer Geltung erkennen, gleichzeitig aber die wahrgenommene Ausbreitung bundesdeutscher Varianten größtenteils abgelehnt wird.

Im Rahmen einer weiteren Perzeptionsstudie beschäftigen sich Andrea Ender und Irmtraud Kaiser mit sprachlichen Varietäten, die zwischen Dialekt und Standardsprache stehen (gemeinhin „Umgangssprache“ genannt), wobei besonders der Vergleich zwischen dem alemannischen und dem bairischen Sprachraum Österreichs im Fokus steht. Dabei stellen die Autorinnen unter anderem Unterschiede bei der Verwendung des Begriffs „Umgangssprache“ in beiden Gebieten fest und bemerken eine Vielzahl alternativer Ausdrücke für Zwischenformen in Vorarlberg (z. B. Bödeledütsch).

Teil 3: Wandel

Den Teil zum „Wandel“ eröffnen zwei Beiträge zum historischen Sprachkontakt zwischen Deutsch und Tschechisch in Niederösterreich:

Anhand von Daten aus Volkszählungen und Sprachatlanten sowie Stellenanzeigen und sonstigen Artikeln in deutsch- und tschechischsprachigen Zeitungen untersucht Maria Schinko den Gebrauch des Tschechischen und Slowakischen in drei Orten des Gerichtsbezirks Stockerau um 1900 und kommt zu dem Schluss, dass „Böhmisch“ nicht überall gleichermaßen „erwünscht“ war.

Stefan Michael Newerkla fokussiert hingegen das obere Waldviertel und beschreibt Sprach- und Kulturkontakte zwischen Deutsch und Tschechisch im österreichischen Teil des Weitraer Gebiets (Vitorazsko).

Der nächste Schwerpunkt ist Oberösterreich: Peter Wiesinger analysiert die Herkunft merkwürdiger Ortsnamen aus dem nördlichen Traunviertel und dem oberen Mühlviertel.

Anschließend diskutieren Peter Ernst und Martina Werner in ihrem Beitrag die Periodisierungsproblematik in der deutschen Sprachgeschichte am Beispiel des Frühneuhochdeutschen.

Unter dem Titel „Mir kehren zam!“ untersuchen David Gschösser und Patrick Zeitlhuber die Entwicklung der germanischen Velare im Anlaut (z.B. kehren/gehören) in den bairischen Dialekten Österreichs und Südtirols anhand von Daten aus der Datenbank des „Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“.

Philipp Stöckle, Christina Hemetsberger und Manuela Stütz befassen sich gleich mit drei syntaktischen Phänomenen: den „flektierten Komplementierern “ (z.B. probiere, ob-st [ob du] hinüber kommst), der „Verdopplung des Artikels“ (z.B. eine so eine wilde Jagd) und der „Mehrfachverneinung“ (z.B. das hätte ich nie nicht gedacht) im „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“. Mit ihrem Beitrag beweisen sie nicht nur, dass das Wörterbuchkorpus auch für grammatische Analysen geeignet ist, sondern zeigen auch auf, wie es um Veränderungen hinsichtlich dieser drei Phänomene steht.

Zu guter Letzt beschäftigt sich Agnes Kim mit einem von Alexandra Lenz‘ Lieblingsphänomenen, nämlich mit dem in Ostösterreich weit verbreiteten geben als PUT-Verb (Beispielsatz: Gib etwas auf den Teller!), das wahrscheinlich auf Sprachkontakt mit dem Tschechischen zurückzuführen ist. In einer korpuslinguistischen Analyse tschechischer Texte aus dem 14. bis frühen 16. Jahrhundert zeigt die Autorin, dass alttschechisch dáti ‘geben’ als PUT-Verb bereits vereinzelt um 1400 vorkommt, und zwar besonders häufig in Konstruktionen mit Körperteilen des Rezipiens (= der Person, die etwas erhält, z. B. [jemandem] etwas in den Mund geben/legen).

Obwohl die geplante Geburtstagsfeier aufgrund des nahenden Lockdowns abgesagt werden musste, konnte eine kleine Gruppe des Herausgabeteams (unter strenger 2G+-Auflage) die Festgabe überreichen. Andere enge Mitarbeiter*innen waren über Zoom dabei.

Unser Dank gilt neben allen Autor*innen der Festgabe bzw. auch in Doppelfunktion den folgenden Gutachter*innen: Lars Bülow, Monika Dannerer, Rudolf de Cillia, Wolfgang U. Dressler, Andrea Ender, Peter Ernst, Fabian Fleißner, Manfred Glauninger, Christian Huber, Irmtraud Kaiser, Stefan Michael Newerkla, Georg Oberdorfer, Stefaniya Ptashnyk, Elisabeth Scherr, Barbara Soukup, Philipp Stöckle, Helmut Weiß und Martina Werner.

Außerdem danken wir Markus Pluschkovits und Barbara Soukup sehr herzlich für das Lektorieren der englischen Abstracts sowie Marlene Lanzerstorfer, Maria Schinko und Susanne Schmalwieser für ihre Unterstützung beim Lektorieren der Texte und Literaturverzeichnisse.

   

Liebe Alex, wir wünschen dir auf diesem Wege nochmals das Allerbeste zu deinem runden Geburtstag und weiterhin viel Glück, Freude, Gesundheit und Erfolg im neuen Lebensjahrzehnt! Wir freuen uns auf viele weitere spannende gemeinsame Forschungsergebnisse und danken dir sehr herzlich für deine großartige Unterstützung von uns Nachwuchswissenschafter*innen!

 

Fußnoten:

1 Neben dem SFB „Deutsch in Österreich“ sind das das Institut für Germanistik der Universität Wien und das Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage (ACDH-CH) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).


Zitation
Korecky-Kröll, Katharina; Dorn, Amelie; Fanta-Jende, Johanna; Höll, Jan; Kim, Agnes; Koppensteiner, Wolfgang; Kranawetter, Katharina; Stiglbauer, Rita; Tavernier, Florian; Wittibschlager, Anja; Ziegler, Theresa (2021): Vom Feiern lassen müssen – aber doch nicht können: Wie Alexandra N. Lenz trotz Pandemie eine Festgabe überreicht bekam.
In: DiÖ-Online.
URL: https://www.dioe.at/artikel/3105
[Zugriff: 29.03.2024]